An Dich, Vanessa

An dich, Vanessa!

Ich spüre es noch ganz genau, gerade so als sei es erst gestern gewesen.

Ein leichtes Streicheln und Kitzeln ganz tief in mir, als wenn zarte Schmetterlingsflügel meine Bauchwand berühren.
Du warst ganz nah bei mir, du warst IN mir.

NIE mehr werden wir uns so nah sein.
Aus dem leichten Flattern wurde mit der Zeit ein Klopfen und Stoßen, als wolltest du sagen „Hallo, ich bin da, spürst du mich?“
Und wie ich dich gespürt habe. Jede Bewegung habe ich genossen, auch wenn es manchmal sehr unangenehm war.

Einmal dachte ich sogar, du durchstößt jeden Moment meine Rippen.

Mir blieb fast die Luft weg.
Dann musste ich dich aus deiner Geborgenheit entlassen, doch nur um dich endlich in den Arm zu nehmen.

Du warst so weich, so klein, so hilflos.

Man musste dich einfach lieben und beschützen.
Stundenlang hätte ich deinen kleinen Körper halten können, nur um deine Nähe zu spüren, dich zu riechen, einfach nur anzusehen.

 Ich konnte dir beim Wachsen zusehen. Begierig sogst du die Eindrücke deiner Umgebung in dich auf, wurdest immer selbstständiger.
Früher durfte ich dich waschen, füttern und anziehen, doch irgendwann schobst Du meine Hand zur Seite und sahst mich mit deinen großen Augen an „Nessa alleine machen!“
Ich nahm dich bei deinen kleinen Händen und half dir, die ersten Schritte zu machen.

Du musstest lernen loszulassen, um alleine auf deinen kleinen Beinen zu stehen. Damals.

Heute muss ICH lernen loszulassen, damit du auf eigenen Beinen stehst.

Doch wann immer Du zu stolpern anfängst;

ICH bin da und fang dich auf.


 

© B. Döblitz 7/2002

 

Erschienen in der Anthologie: Grenz-Erfahrungen, Alheimer Verlag